Die Novelle der Bioabfallverordnung – Was ändert sich?

Aktuelles / 11. Februar 2022 / Lesedauer 9 Minuten

Im September hat das Bundeskabinett über eine Verordnung zur Behandlung von Bioabfällen entschieden. Es gibt somit neue Regeln für Bürgerinnen und Bürger, die Sammler und die Verwerter. Die abschließende Abstimmung des Bundesrates hat stattgefunden und es stellt sich die Frage, was sich für Bürger, Abfallentsorger und die Behandlungsanlagen von Bioabfällen eigentlich ändern wird. Wir geben in diesem Beitrag einen Überblick über die wichtigsten Änderungen, die Hintergründe und den zeitlichen Ablauf.

Bioabfall ist alles andere als Abfall. Bananenschale, Eierschale, verwelkte Blumen, all das ist pure Energie. Warum ist das so? Gartenabfälle und viele Essensreste kann man in Energie verwandeln und kompostieren. Das Kompostieren klappt im eigenen Garten, aber noch besser funktioniert das Ganze in industriellen Kompostierungsanlagen. Hier wird aus den Küchen- und Gartenabfällen Komposterde. Und Kompost ist gut für das Wachstum von Pflanzen. Das funktioniert jedoch nur, wenn die Biotonne frei von sogenannten Störstoffen ist und sauber getrennt gesammelt wird. Plastik, Glas, Metall – all das hat in der Biotonne nichts zu suchen. Vor allem Plastik ist ein großes Problem. Auch über Komposterde aus Bioabfall kann Plastik in unsere Böden gelangen. Laut Angaben der Heinrich Böll Stiftung ist die Verschmutzung von Mikroplastik in Böden und Gewässern zwischen vier- und 23-mal so hoch wie im Meer (vgl. Heinrich Böll Stiftung & BUND: Plastikatlas 2019, S. 8). Zeit zum Handeln. Die Novelle der Bioabfallverordnung hat deshalb in erster Linie das Ziel, den Plastikanteil im Bioabfall zu reduzieren. Deutschland und Europa suchen nach Lösungen, um die Plastikkrise zu bewältigen.

Bundesregierung minimiert Plastikanteil im Bioabfall auf 0,5 Prozent bzw. 1,0 Prozent

Die Bundesregierung möchte, dass künftig nur noch maximal 0,5 Prozent der Bioabfälle Kunststoffe enthalten. Das bedeutet, dass die an einer Kompostierungsanlage oder Vergärungsanlage angelieferten Bioabfälle nur noch zu 0,5 Prozent Störstoffe enthalten dürfen. Stammen die Bioabfälle aus der „privaten“ Biotonne liegt die Obergrenze bei 1,0 Prozent Kunststoff. Eine solche Obergrenze, die sich auf den sogenannten „Input“ – also auf den an der Verwertungsanlage angelieferten Bioabfall bezieht, hat es in der Vergangenheit noch nie gegeben.

Schauen wir uns zum Verständnis der Mengen und Relation die Zahlen im Rhein-Neckar-Kreis in Baden-Württemberg an: An der Bioabfallvergärungsanlage der AVR BioTerra GmbH & Co. KG in Sinsheim werden pro Jahr 68.000 Tonnen Bioabfall verarbeitet. Aus dem Bioabfall entsteht klimaneutrales Biomethan und gütegesicherter, zertifizierter Frischkompost. Die genannte Obergrenze in Höhe von einem Prozent bedeutet, dass im angelieferten Bioabfall in Sinsheim maximal 680 Tonnen Plastik enthalten sein dürfen. Der aktuelle Störstoffanteil liegt in dieser Anlage erfreulicherweise bereits unter 1 Prozent. 

Die Obergrenze von einem Prozent und damit 680 Tonnen Plastik ist immer noch relativ viel, aber ein Anfang und Teil der Strategie der Europäischen Union in der Plastikkrise. Das Verbot der Kunststoff-Einwegprodukte und das Verbot der Plastiktüte Anfang 2022 waren erst der Anfang der EU-Strategie im Kampf gegen die Plastikkrise (vgl. #wirfuerbio-Beitrag „Was tun gegen die Plastikkrise? Die Strategie der EU“. Heike Vesper, Leiterin des Fachbereichs Meeresschutz beim WWF, hat das Verbot von Einwegplastik als „die schnellste Umweltgesetzgebung ever“ gelobt. Mehr zu Ihrer Einschätzung lesen Sie im Spiegel-Artikel „Warnung von Forschern: Plastikverschmutzung der Meere nimmt dramatisch zu„.

Warum gibt es in Zukunft eine Obergrenze?

Die Obergrenze dient der sogenannten „Entfrachtung“ von Fremdstoffen aus Bioabfällen. Es landen noch immer zu viele Verpackungen und andere Störstoffe in der Biotonne. Die ehemalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze argumentierte im September 2021 folgendermaßen: „Kunststoffe im Bioabfall sind eine Gefahr für die Natur und den Menschen. Noch viel zu oft landen Lebensmittelabfälle mit Kunststoffverpackungen in der Kompostierung oder Biogasanlagen. (…) Kunststoffe haben im Bioabfall nichts zu suchen. Mit den erstmals eingeführten Obergrenzen wird sichergestellt, dass nur Bioabfälle mit sehr geringen, kaum vermeidbaren Mengen Kunststoff angeliefert werden.“ 

Die Obergrenze gilt dabei auch für sogenannte „kompostierbare Verpackungen“. Das sind zum Beispiel Kaffeekapseln, die als biologisch abbaubare Kunststoffprodukte beworben werden. Solche Kunststoffe bauen sich in Behandlungsanlagen nicht vollständig ab und können die Umwelt verschmutzen.

Kompostierbare Verpackungen sind kein Bioabfall

Anders als es das Verpackungsdesign der vielen „kompostierbaren“ Kaffeekapseln vermuten lässt, dürfen sogenannte kompostierbare Kaffeekapseln nicht in der Biotonne entsorgt werden. Der Grund: Sie sind nur unter Laborbedingungen kompostierbar, nicht jedoch in den industriellen Kompostierungsanlagen. Anders als die Herstelleraussage, zersetzt sich die kompostierbare Kapsel eben nicht schnell genug. Der Kunststoff ist angegriffen, aber noch da. Die Entsorgung dieser kompostierbaren Verpackungen über die Biotonne ist de facto gesetzlich verboten.

Es stellt sich die Frage, warum Hersteller überhaupt damit werben dürfen, dass ihr Produkt kompostierbar ist, wenn es das offensichtlich nicht ist? Hier wäre – aus unserer Sicht – eine weitere Gesetzesanpassung nötig. Der Verbraucher wird getäuscht und wirft aus Unwissenheit diese kompostierbaren Verpackungen in die Biotonne. Es wird Zeit, auch hier gesetzliche Rahmen zu schaffen. Wir alle wollen so gerne vieles richtig machen, die Umwelt schützen, weniger Plastik verwenden. Auf dem Markt gibt es deshalb viele scheinbar „grüne“ Produkte, die es uns nicht leichter machen, richtig zu trennen. Der Großteil der abfallverarbeitenden Industrie lehnt kompostierbares Plastik in der Biotonne grundsätzlich ab. Die abfallverarbeitenden Unternehmen in Deutschland können kein „kompostierbares“ Plastik verwerten. Es wird vor der Kompostierung heraussortiert und verbrannt. foodwatch hatte die Mövenpick Green Caps für den Goldenen Windbeutel 2021 nominiert, den Preis für die dreisteste Werbelüge des Jahres. 

Was müssen Anlagenbetreiber in Zukunft tun?

Die Anlagenbetreiber werden mit Inkrafttreten der Bioabfallverordnung die Menge an Fremdstoffen im angelieferten Bioabfall regelmäßig und systematisch prüfen. Werden die neuen Obergrenzen an den angelieferten Bioabfall überschritten, müssen sie die Fremdstoffe aufwändig entfernen. Das betrifft vor allem Kunststoffverpackungen, die mit verpackten Lebensmittelabfällen aus dem Handel und der Produktion oder privaten Haushalten in den Bioabfall geraten oder eben die gute alte Plastiktüte, die nicht selten in der Biotonne landet.

Unklar ist die Strategie der Anlagenbetreiber in dieser Sache. Wird die Herausforderung zur Entfrachtung gemäß der Novelle den Anlagenbetreibern zu Lasten gelegt, werden diese diese Aufgabe sicher nicht alleine tragen. In der Theorie bedeutet das, dass Bioabfälle bereits bei der Anlieferung auf den Störstoffgehalt gecheckt werden und möglicherweise vom Anlagenbetreiber nicht angenommen werden. Beträgt der Anteil der Fremdstoffe im angelieferten Bioabfall mehr als drei Prozent, dürfen die Anlagenbetreiber die Annahme verweigern. Laut Theorie sind die Anlagenbetreiber dann verpflichtet, die Störstoffe bis 3 Prozent selbst zu entfernen. Die Umsetzung dieser neuen Obergrenze tragen in der Praxis damit aber auch die Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger selbst. Es ist anzunehmen, dass Biotonnen, die mit Störstoffen befüllt sind, in Zukunft noch konsequenter nicht abgefahren werden, sondern gefüllt am Straßenrand verweilen. 

Insgesamt ist die Novelle und damit die festgelegte Obergrenze für den Input ein Schritt in die richtige Richtung. Die getrennte Sammlung und Verwertung von Bioabfällen ist aktiver Ressourcen- und Klimaschutz. Durch die Vergärung von Bioabfällen wird Biogas gewonnen, womit fossile Energieträger wie Erdöl und Kohle ersetzt werden. Bioabfallkomposte und Gärrückstände werden zur Düngung verwendet. Sicher ist, dass sowohl die Anlagenbetreiber als auch wir alle unser Bestes geben müssen, damit wir diese Obergrenze einhalten und unsere Umwelt vor Plastik bewahren. Denn auch Bioplastik ist kein Fall für die Biotonne.

Der Fall der „kompostierbaren“ Plastiktüte


Immer wieder stellen sich Bürgerinnen und Bürger die Frage, ob „kompostierbare“ Plastiktüten in der Biotonne entsorgt werden dürfen. Diese Frage ist leider nicht mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten. Es hängt schlussendlich von den Abfallsatzungen jeder einzelnen Region ab und den regional unterschiedlichen Regeln. Wir haben hier – wie auch in anderen Bereichen – in Deutschland keine einheitliche Regelung.

Warum gibt es keine einheitliche Regelung?

Es gibt Kommunen und Betriebe, die Bioplastikbeutel zu lassen und es gibt diejenigen, die sie nicht im Bioabfall haben wollen. Kompostierbare Plastiktüten, auch bekannt als biologisch abbaubare Biobeutel, sind in diesen Anlagen ein Störstoff, der aussortiert wird, weil nicht alle Beutel vollständig abgebaut werden. Es gibt leider nicht die eine „kompostierbare“ Plastiktüte, sondern viele verschiedene Materialien.

Kurz: Auch wenn Bio drauf steht, darf es eben nicht unbedingt in die Biotonne oder den Kompost. Wir stellen uns die Frage, warum Hersteller ihr Produkt als kompostierbar deklarieren dürfen, wenn es in der Praxis nicht sicher funktioniert? Das Problem ist nach Angabe des SWR-Berichts „Das Geschäft mit der Nachhaltigkeit“ die EU-Norm 13432 bzw. die Zertifizierung „biologisch abbaubar“.

 

Was bedeutet die EU-zertifizierung „biologisch abbaubar“?

„Biologisch abbaubar“ ist eine EU-weite Zertifizierung. Es bedeutet, dass in industriellen Kompostieranlagen nach zwölf Wochen nur 10 % Rückstände vorhanden sein dürfen, die größer sind als zwei Millimeter. Laut Angaben des SWR-Berichts gibt es solche Anlagen in Europa praktisch nicht. Wir fragen uns, wozu eine Norm existiert, die gar nichts anwendbares normiert?“

Was die Zertifizierung nicht sagt? Ob diese Rückstände anschließend über einen bestimmten Zeitraum oder unter bestimmten Bedingungen abgebaut werden, das wird bisher nicht geprüft und ist deshalb unklar. Fest steht: In einer industriellen Kompostierungsanlage wird bio-abbaubares Plastik unter Einfluss von Sauerstoff zu CO2 und Wasser. Additive gibt es auch in diesem Plastik, sie gelangen ebenfalls in den Kompost. Hier besteht somit großer Bedarf an Tests, die das Verhalten dieser Additive im Boden untersuchen.

 

Einheitliches Aussehen der Tüten ab 2025

Auch wenn es in Bezug auf die Zulassung keine Einheit gibt, so gibt es in Zukunft ein einheitliches Design der vielen verschiedenen biologisch abbaubaren Plastikbeutel. So werden die Beutel in der Zukunft aussehen. Mit abgedruckt werden muss zudem auch der eindeutige Hinweis, dass die Beutel nur dann zulässig sind, wenn die kompostierbaren Plastikbeutel von der Kommune, dem Zweckverband oder dem öffentlichen Entsorgungsträger für die Sammlung von Bioabfällen freigegeben sind. 

Novelle schafft keine Klarheit bei „Kompostierbaren Plastiktüten“ – Sieg für die Lobbyarbeit der Plastikfirmen?

Die neue Bioabfallverordnung sieht vor, die „kompostierbare“ Plastiktüte unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin zuzulassen. Damit liegt bei den Kommunen eine erhöhte Aufklärungsarbeit. Die Satzungen der einzelnen Kommunen regelt de facto, ob die Bioplastiktüten in der Biotonne landen dürfen und das ändert auch die Novelle nicht. Damit werden die Kommunen mit der Aufklärungsarbeit allein gelassen. Sie stehen vor der Problematik, den Bürgerinnen und Bürgern zu erklären, dass Tüten, die als „kompostierbar“ deklariert sind, nicht in die Biotonne dürfen. Das erhöht den Aufwand der Kommunen und erzeugt bei den Verbraucherinnen und Verbraucher Unklarheit.

 Mit der #wirfuerbio-Kampagne machen knapp 80 öffentlich-rechtliche Unternehmen gemeinsam auf das Problem der „kompostierbaren“ Produkte aufmerksam. Die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsbetriebe haben mit den sogenannten Plastikfirmen einen übermächtigen Kontrahenten. Plastikfirmen haben eigene Interessensverbände. Diese Verbände versuchen, möglichst viel Einfluss auf Regierungen, Behörden und Politik zu nehmen. Sie streuen ihre Informationen weltweit und erhalten die notwendige Aufmerksamkeit. Startet man eine Google-Suche mit den Suchbegriffen „Biokunststoffbeutel“ und „Novelle der Bioabfallverordnung“ landet man bei direkt bei einer Pressemitteilung des Verbundes der kompostierbaren Produkte e.V., ein Interessensverband der Hersteller. Die Headline lautet „Biokunststoffbeutel sind keine Fremdstoffe – Novelle der Bioabfallverordnung schafft Klarheit“. Aus unserer Sicht schafft die Novelle leider alles andere als Klarheit. Zurück zum Thema Interessensverbände im Allgemeinen:

Einige beschäftigen Anwältinnen und Anwälte, um Umweltgesetze zu verhindern oder Umweltauflagen zu umgehen. Der Umstand, dass diese Unternehmen ihre Interessen auf politischer Ebene vertreten, ist per se nicht verwerflich. Immerhin sollen in einer Demokratie alle gehört werden. Allerdings macht es einen großen Unterschied, ob sich jemand oder Unternehmen für das Allgemeinwohl einsetzen oder für ihren eigenen Profit. Außerdem herrscht kein Gleichgewicht zwischen dem Einfluss der Industrieverbände und der Zivilgesellschaft, zu der letztlich wir alle gehören. Die Industrie hat weitaus mehr Personal und vor allem Geld zur Verfügung als alle anderen, um auf Gesetze und Regeln einzuwirken. Das scheint sich auch in Bezug auf die „kompostierbaren Plastikbeutel“ zu zeigen.

Insgesamt braucht es Fortschritte in Handel, Industrie und Abfallwirtschaft, um kompostierbare Plastiktüten weiterzuentwickeln. Aktuell ist die Entsorgung noch ein Problem. Die Bioplastiktüten zersetzen sich nicht sicher vollständig in den industriellen Anlagen und die Folgen für unsere Böden sind bisher unerforscht. Unsere Aufgabe muss es sein, gemeinsam mit der Industrie und dem Handel Lösungen zu finden, damit der kompostierbare Müllbeutel der „Retter“ der Küchenabfälle werden kann. 

Wann treten die neuen Regelungen in Kraft?

Die geplante Übergangsfrist hinsichtlich der neuen Obergrenzen des Inputs in Höhe von 0,5 bzw. 1 Prozent treten nach etwa 12 Monaten in Kraft. Das bedeutet, dass es voraussichtlich im März 2023 zum Inkrafttreten kommt. Die Kontrollwerte gelten ab März 2024. Die biologisch abbaubaren Beutel sollen in 36 Monaten ein neues Design erhalten. Das bedeutet, dass ab 2025 ein einheitliches Design der Beutel herrscht.

Die Neuerungen der Bioabfallverordnung im Überblick
  • Bioabfälle dürfen vor der Behandlung nur noch maximal 0,5 Prozent Kunststoffe / Fremdstoffe enthalten.
  • Bioabfälle aus der Biotonne dürfen noch maximal 1,0 Prozent Kunststoffe / Fremdstoffe enthalten.
  • Betreiber von Behandlungsanlagen müssen in Zukunft die Menge an Fremdstoffen im angelieferten Bioabfall prüfen.
  • Betreiber und Kommunen haben die Fremdstoffe aus dem Bioabfall zu entfernen.
  • Der Anwendungsbereich der Bioabfallverordnung wird erweitert: Bislang galt die Anwendung nur für die Verwendung von Bioabfällen auf landwirtschaftlichen Flächen. Künftig gelten die Regelungen auch für den Einsatz als Bodenverbesserer und im Garten-Landschaftsbau.
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